**Einleitung**
Spätestens seit den Abstimmungen des britischen Unterhauses vom 8.2.2017 und des Oberhauses vom 13.3.2017, in denen das Ergebnis des EU-Mitgliedschaft-Referendums vom 23.06.2016 offiziell angenommen wurde, steht fest, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen wird. Nicht nur für viele Engländer, sondern auch für Deutsche ist dies Grund zur Sorge. In den vergangen Jahren nutzten nämlich viele Deutsche, die insolvent geworden waren, England als Ort um sich möglichst schnell von ihren Schulden zu befreien und sich so einen anschließenden Neubeginn zu ermöglichen. Durch den nun bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreiches ist das Fortbestehen dieser Möglichkeit jedoch ungewiss.
**Der Vorteil der englischen Restschuldbefreiung**
Das englische Recht bietet im Vergleich zum deutschen Insolvenzrecht einen entscheidenden Vorteil: Die Restschuldbefreiungsperiode dauert in England lediglich sechs bis zwölf Monate, während diese in Deutschland gemäß § 300 Abs. 1 Nr. 1 InsO drei bis fünf Jahre beträgt. Dieser unterschiedliche Umgang mit der Insolvenz lässt sich historisch und sprachlich verstehen. Das deutsche Recht entstammt dem antiken römischen Recht. Letzterem zufolge traf einen zahlungsunfähigen Schuldner neben dem wirtschaftlichen Ruin auch der gesellschaftliche Ruin, Infamie genannt. Eine Ausnahme konnte hierbei nur im Falle einer unverschuldeten Zahlungsunfähigkeit durch komplettes Überschreiben des aktuellen und zukünftigen Vermögens an die Gläubiger durch die Lex Iulia erwirkt werden. Auch sprachlich wird dem insolventen „Schuldner“, der eine „Schuld schuldet“, ein Verschulden vorgeworfen. Das englische Recht, ist als Common Law-System nicht primär vom römischen Recht abgeleitet. Sprachlich, wird die Schuld als „owing a debt“ neutral beschrieben. Die rechtliche Auswirkung dieses unterschiedlichen Umgangs mit der Zahlungsunfähigkeit findet sich in der obig beschriebenen Dauer der Restschuldbefreiungsperiode wieder.
In Deutschland soll der Schuldner aus der Zahlungsunfähigkeit herausgeführt werden, indem er mehrere Jahre nur das pfändungsfreie Einkommen erhalten kann, während in England der insolvente Schuldner nach einer viel kürzeren Periode zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens wieder an der Volkswirtschaft teilnehmen soll. Seit dem Inkrafttreten der europäischen Verordnung über Insolvenzverfahren (EUInsVO) am 29. Mai 2000 ist gemäß Art. 12 EUInsVO eine universelle Entschuldung durch ein Insolvenzverfahren in einem Mitgliedsstaat der EU möglich. Aus diesem Grund verlegen viele privatinsolvente Schuldner ihren Wohnsitz von Deutschland nach England, wo sie, nachdem sie dort zwischen dreieinhalb und sechs Monaten gelebt haben, um dort ihren Wohnsitz (center of main interests) zu begründen, einen Insolvenzantrag stellen können. Dieser wird dann meist von einem sog. official receiver bearbeitet und recht unbürokratisch abgewickelt. Manche sprechen hier von einem europaweiten Insolvenztourismus.
Nach der Entschuldungsperiode können die Schuldner spätestens zwölf Monate später komplett legal und von allen Restschulden befreit nach Deutschland zurückkehren, dort ein sog. certificate of discharge (zu deutsch Restschuldbefreiung) vorlegen und so einen schnellen Neuanfang starten.
**Die Auswirkung des Brexit auf diese Möglichkeit**
Jetzt, wo das Vereinigte Königreich die Europäische Union jedoch verlassen möchte, stellt sich aufgrund des Beginns des Trennungsprozesses die Frage, inwieweit die vorstehend beschriebene Restschuldbefreiung in England (certificate of discharge) vom Brexit betroffen sein wird.
Vorab muss hier festgestellt werden, dass durch die zweijährige Verhandlungsdauer über die Einzelheiten des EU-Austritts, gemäß Art. 50 Abs. 2 und 3 EUV, mit dem tatsächlichen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, vorbehaltlich weiterer Verzögerungen der Abgabe der Austrittserklärung durch die britische Regierung, nicht vor März 2019 zu rechnen ist. Bis dahin, so bestätigte es der Insolvency Service des High Court of Justice in London, bleibt die Entschuldung in England ohne weiteres möglich. Es bleibt jedoch ungewiss, was nach dem tatsächlichen Austritt passieren wird. Fest steht, dass gemäß Art. 50 Abs. 3 EUV Verträge und Verordnungen der EU keine Anwendung mehr auf das betroffene Land finden werden und somit auch die Restschuldbefreiung in England nicht mehr gemäß Art. 12 EUInsVO eine automatische Schuldbefreiung in der EU bedeuten wird.
Der Chancellor of the English High Court of Justice, Sir Geoffrey Vos, erklärte jedoch, dass die britische Regierung sich darum bemühen werde, bei den Austrittsverhandlungen eine Regelung zu finden, wonach die Möglichkeit der universellen Restschuldbefreiung in England weiterhin bestehen soll. Die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen sind indes ungewiss. Die britische Premierministerin Theresa May erklärte in ihrer Grundsatzrede vom 17.01.2017, dass es einen „harten Brexit“ geben werde. Dies bedeutet, dass das Vereinigte Königreich auch den europäischen Binnenmarkt verlassen soll und sich komplett von der EU lossagen wird.
In Reaktion hierauf erklärte die EU dass, so der damalige deutsche Wirtschaftsminister und heutige Außenminister Sigmar Gabriel, es kein „Rosinenpicken“ beim EU-Austritt geben werde. Die Bereitschaft der EU der britischen Regierung entgegen zu kommen, dürfte also eher gering sein. Dennoch würde eine solche Vereinbarung auch im Interesse der verbleibenden EU-Staaten sein, da ansatzweise Gesetzeskompatibilität in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung von großem Nutzen ist. Es bleibt daher abzuwarten, inwieweit hier eine Vereinbarung im Rahmen der Austrittsverhandlungen getroffen werden wird.
**Alternativen für den Fall einer ausbleibenden Einigung mit der EU**
Sollte es im Rahmen der Trennungsverhandlungen zu keiner Einigung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union kommen, wäre ein Privatinsolvenzverfahren nach englischem Recht mit anschließender und für die EU geltenden Restschuldbefreiung für EU-Bürger rechtlich nicht möglich. Gleichwohl bieten sich für privatinsolvente Deutsche trotzdem einige Alternativen an. So ist beispielsweise in der Republik Irland das Insolvenzrecht weitgehend deckungsgleich mit dem englischen Verfahren, sodass hier eine zügige Befreiung von Schulden im Zuge eines Insolvenzverfahrens weiterhin möglich sein wird. Auch in anderen Ländern der EU, wie beispielsweise in Spanien oder Frankreich, ist eine relativ schnelle Restschuldbefreiung weiterhin möglich.
Die unter anderem auf Insolvenzrecht spezialisierte Kanzlei AdvoAdvice Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB in Berlin beschreibt dieses Vorgehen wie folgt: „In unserer beruflichen Praxis werden wir mit vielen Fällen der Privatinsolvenz konfrontiert. Das Einleiten des Insolvenzverfahrens in England stellt sich hierbei wiederholt als sehr sinnvolle Maßnahme heraus, um auf völlig legalem Wege die bis zu sechs Jahre dauernde Restschuldbefreiungsperiode in Deutschland zu vermeiden. Diese stellt in der Regel eine nicht zumutbare Härte für die Mandanten dar. Gerade Leistungsträger aus Wirtschaft oder Medizin, die oftmals unverschuldet in finanzielle Notlagen gekommen sind, sollten hier weiterhin eine England Insolvenz in betracht ziehen. Die betrifft oftmals ehemalige Geschäftsführer von Unternehmen, die privat für Kredite gebürgt haben, Ärzte, Zahnärzte, Gewerbetreibende oder Berater.“
Für eine personalisierte Beratung und das Aufzeigen weiterer Möglichkeiten ist es empfehlenswert das Gespräch mit einem spezialisierten Rechtsanwalt zu suchen.
**Fazit**
Die Zukunft der Restschuldbefreiung durch ein Insolvenzverfahren in England bleibt zunächst ungewiss. Obwohl diese Möglichkeit zumindest bis voraussichtliche März 2019 bestehen wird, bleibt unklar, inwieweit eine Regelung für die Zeit nach dem eigentlichen EU-Austritt getroffen werden wird. Es verbleiben jedoch, unabhängig von den Resultaten der Austrittsverhandlungen, dennoch für zahlungsunfähige Deutsche Möglichkeiten der zügigen Restschuldbefreiung durch Insolvenzverfahren im Ausland.